„Erfolgsstart“ für Hilfsangebot
lässt keine Freude aufkeimen
DIEZ. (10.Oktober) Nicht jede Erfolgsgeschichte bietet Grund zur Freude: Der Run auf die vor einem halben Jahr vom Diakonischen Werk Rhein-Lahn eröffnete Diezer Tafel in der Diezer Wilhelmstraße, die einkommensschwachen Haushalten günstig Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs anbietet, hat bei einem Erntedankfest im evangelischen Gemeindehaus in Altendiez eher nachdenklich darüber gemacht, dass in Deutschland ein solches Angebot so boomt.
Mehr als 40 Personen engagieren sich seit März in der Diezer Wilhelmstraße ehrenamtlich für die Verteilung von Waren, die von insgesamt sechs Märkten in der näheren Umgebung abgegeben werden. Die Firmen Kaufland, Rewe, Lidl und Nisin sowie die Bäckereien Fuhr, Hunsänger und Huth beliefern derzeit die Tafel. Heike Karsch und Oliver Krebs vom Diakonischen Werk in Diez überprüfen die Bedürftigkeit der Empfänger, organisieren die Abholfahrten sowie die Arbeit des Sortier- und Verteildienstes für die Waren, die an mittlerweile drei Tagen in der Woche an mehr als 90 Haushalte verteilt werden. Von Schokolade über Gemüse, Obst, verpacktem Käse und Wurst bis hin zu Spielsachen und Katzenfutter reicht die Palette.
Bei dem für die ehrenamtlichen Mitarbeiter organisierten Erntedankfest, an dem auch Politiker wie Landrat Günter Kern, Landtagsabgeordneter Frank Puchtler und Bürgermeister Harald Gemmer teilnahmen, dankte Ulrike Pommerenke, Leiterin des Diakonischen Werkes Rhein-Lahn, allen, die sich für die Tafel engagieren. Überwältigend sei neben der Unterstützung durch Firmen und die Paulinenstiftung auch die Resonanz in der Bevölkerung gewesen, die mit Spenden die Tafel unterstützt habe. Nach den Erfahrungen in Diez sei nun auch eine Tafel in Nastätten und mittelfristig auch in Bad Ems geplant, so Pommerenke. „Hinter dem Engagement für die Tafel steht die christliche Pflicht, denen zu helfen, die Hilfe nötig haben“, so Pommerenke. Die betonte auch Pfarrer Adi Tremper in seiner Andacht, in der er auf Jesus verwies, der Hungrige satt gemacht habe. „Die Schätze der Erde reichen für alle – wir müssen sie nur gerecht verteilen“, so Tremper.
Auf der Suche nach den Gründen dafür, dass in einer deutschen Stadt Lebensmittel an finanzschwache Familien ausgegeben werden, hatte Prof. Dr. Franz Segbers, Referent für Ethik und Sozialpolitik des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau schnell die Schuldigen in der Politik ausgemacht. Nach 2004 und der Einführung von „Hartz IV“ habe sich die Zahl der Tafeln verdoppelt. Das sei ein Skandal, so Segbers. Jeder siebte Haushalt lebe unter der Armutsgrenze, habe also weniger Geld als die Hälfte des deutschen Durchschnittseinkommens zur Verfügung. Die Solidarität in der Gesellschaft steige, so Segbers, der ein „Ende der Egomanie“ sieht. „Wir bräuchten eine Politik, die diese soziale Bereitwilligkeit stärkt“, so der Vorsitzende der Liga der Wohlfahrtsverbände in Rheinland-Pfalz.
Die Armen würden noch nicht so offensichtlich in Erscheinung treten wie in seinem Land, sagte Dr. René Krüger, evangelischer Theologie-Professor in Brasilien, aber die Einrichtung einer Tafel zeige, dass der Graben zwischen arm und reich auch durch den reichen Norden der Welt gehe. Die gerechte Verteilung der Güter sei eine brennende Herausforderung der Menschheit. „Solch eine Tafel muss für uns nicht nur ein Zeichen der Nächstenliebe sein, sondern auch ein Dorn im Auge“, so Krüger. (bcm)
