Der Ruf eines Menschen hängt ebenso schmerzend fest an ihm, wie der schon tot geglaubte Herabstürzende an der Hand des Retters. Eine Unmöglichkeit, ihn zum Loslassen treiben zu können; reine Naivität aber auch der Glaube daran, dass man es wirklich wünscht, ihn fallen zu lassen. Als äußerst brauchbar für Entwicklung und Fortkommen des eigenen Geistes wird er sich herausstellen, vorausgesetzt, über die quälenden Wunden der Anfangszeit hat sich eine panzerfeste Haut gelegt.
Unerbitterlichkeit und Standfestigkeit zeichnen den Ruf aus, der des Menschen Worte hemmt, seine Freiheiten beschränkt und sein Lebensschicksal lenkt, das ohne die Ergebenen der Völlerei, die nach dem Letzten lechzen, ohne die Urteilsliste der Verurteiler, die Zeile für Zeile des Verurteilten Wort als Wort des Herrn verkünden, hätte ganz und gar schön werden können. Aussichtslosigkeit hingegen prägt den Verurteilten, dessen Sinn nun im Nutzen der schlechten Worte, in der Umkehr der schändlichen Flecken auf dem eigenen Haupte, im Siege des Verurteilten über die homogene Masse liegen muss.
Achte nicht nur auf Dein äußerliches Antlitz, schon bald vergeht die Spiellust der Völlereigeplagten hieran. Lieber wäge Deine Worte sorgsam ab, halte Dich zurück, wenn es Dir von Nöten scheint und schweige, wenn Dich der aufkommende Durst der missgünstigen Masse bereits im eigenen Halse zu kratzen beginnt. Ist Dein eigenes Wort frei von rufbildenden Viren, so beobachte Deine Freunde, Deine Familie und Deine Liebe, dass auch Sie Deiner Krankheit, die mehr denn je Krankheit der Masse ist, keinen Vorschub leisten mögen.
Freundschaft? Nimm sie nicht zu ernst und betrachte sie als ein wahres Geschenk
des Himmels, das zu empfangen plötzlich einem Wunder gleichkommen kann. Feindschaft hingegen wird dem rufgeplagten Hirne unbewusst zur Beschäftigungsart erster Güte, alsbald krankhafte Züge tragend.. Misstrauen und Argwohn sind es nun, werden ihre Plätze im Unterrang des Charaktertheaters einnehmen, wo vormals Unschuld und Vertrautheit saßen.
Eine Lounge höher jedoch sitzen die wahren Gewinner mit der besten Aussicht: Die Stärke nimmt machtvoll auf der Haupttribüne des aufgekeimten Lebens Platz. Glanz und Schönheit, Vervollkommnung und Identität wollen Ehrengäste dessen sein, was sich nur zu gerne Leben nennt. Unbekannter Gast, das eigene Bewusstsein, welches sich wie selbstverständlich den mühevollen Weg durch die unteren Ränge hinauf in die Empore bahnt. Die Prise Sarkasmus reicht die Bedienung zumeist noch bevor der Lebensvorhang fällt. Zieht der Verurteilte fort von allem Vorherigen, so überkommen ihn gleichsam zwei Gefühle in der Dunkelheit des Ruflosen. Noch deutlich lastet alter Ruf auf breitgestählten Schultern, fällt er ab, so wird nicht mehr gefühlt, als Sehnsucht nach dem alten Muster. Zu stark das eigene Ich, um so leicht durchs Leben zu tanzen.
In jeder Hinsicht stark, in jeder Hinsicht schwach macht uns der Ruf. Willst Du ihm entgehen, so ziehe fort und baue Dir ein ums andere mal einen Neuen, bevor Du wieder Deine Sachen packst und weiter ziehst.
