RHEIN-LAHN/DIEZ. Auslandseinsätze der Bundeswehr – sie sind eine Herausforderung nicht nur für die Soldaten, sondern auch für Vorgesetzte und den Militärseelsorger: Pfarrer Jürgen Peter Stahlhut verbrachte ein halbes Jahr in einem Feldlager in der Nähe von Sarajewo, betreute dort mit einem katholischen Amtskollegen knapp 1700 Soldaten. Kein Zuckerschlecken, aber eine bereichernde Erfahrung für den Pfarrer, dessen Dienstsitz das Diezer Schloss Oranienstein ist.
„Jeder Soldat hat Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung“, erklärt Stahlhut den Grund für seinen Dienst, wie er in Paragraph 36 des Soldatengesetzes steht. Das gilt auch – und wie der evangelische Pfarrer jetzt weiß – gerade im Ausland. „Wenn sich zwei Soldaten treffen, fragen sie nicht mehr, warst Du schon im Auslandseinsatz, sondern der wievielte ist es denn?“, weist der Militärseelsorger auf eine aus seiner Sicht zunehmende Überbelastung der Bundeswehr hin, die gerade in sechs Monaten Ausland Wirkung zeigen kann, trotz gründlicher Vorbereitung.
In dieser stand für Stahlhut das Gespräch mit zurückgekehrten Seelsorgern auf dem Stundenplan, ein Sprachkurs in Spanisch und Französisch, eine militärische Vorausbildung, in der etwa auf Gefahren durch Geiselnahme und Minen hingewiesen wurde. Allerdings nicht auf solch brutale Weise wie es in Coesfeld für Negativ-Schlagzeilen sorgte, wo es zu Misshandlungen kam. Ein Vorfall, der Stahlhuts Plädoyer für die Erhaltung der Wehrpflicht unterstreicht: „Die meisten Eingaben und Beschwerden kommen immer von Wehrpflichtigen. Die haben nichts zu verlieren, müssen keine Punkte für die Beförderung sammeln.“
Der Pfarrer aus Diezl selbst bereitete die Soldaten vor der Balkan-Reise auf den Umgang mit Tod und Verwundung vor, auch über Sexualität wurde gesprochen. „Das Thema sollte man nicht ausklammern, auch nicht im Interesse der Partner, die zuhause bleiben.“ So ein „Feldpuff“, über den dann im deutschen Fernsehen berichtet werde, habe schon manche Partnerin schockiert und ins Grübeln gebracht.
Mit der Dauer des Aufenthaltes häufen sich die Probleme. Es gebe quasi weder einen Ortswechsel noch eine Privatsphäre – das schlägt aufs Gemüt. „Was am Anfang noch als Scherz aufgenommen wurde, kann jetzt schon mal eine Beschwerde nach sich ziehen. Man geht sich einfach auf den Senkel.“ Ein geflügeltes Wort im Lager: Jeden Tag ist Mittwoch. In den letzten zwei Monaten des Aufenthaltes habe er auch Schattenseiten des Alkoholkonsums kennen gelernt, so Stahlhut. „Gefährlich wird es für die, die es heimlich tun.“
Auf Heimaturlaub würde mancher Soldat verzichten, um den Auslandszuschlag nicht einzubüßen. Dafür büßt mancher die Partnerschaft ein. „50 Prozent haben ihre Freundin in dem halben Jahr verloren – per SMS“, erzählt der Seelsorger. Eine andere Erfahrung von Soldaten: Der erste Einsatz diente der Finanzierung des Hausbaus, der zweite der Inneneinrichtung und mit dem dritten müsse die Scheidung bezahlt werden. Umgekehrt gebe es aber auch Soldaten, deren Beziehung durch den Einsatz enorm vertieft worden sei.
Angesichts der seelischen Herausforderungen scheint es kein Wunder, dass immerhin 95 Prozent der Soldaten die Gegenwart eines Militärseelsorgers im Ausland befürworten. „Die Wahrnehmung meiner Aufgaben ist im Einsatz unendlich höher als zuhause“, sagt Stahlhut. Das spürte er auch am großen Zuspruch in den sonntäglichen Feld-Gottesdiensten. „Weil die Soldaten merken, dass der Pfarrer auch die Woche über brauchbare Antworten auf ihre Fragen gibt.“ Schon allein durch die einheitlich tarngrüne Uniform seien sich die Menschen im Lager ohnehin näher. Stahlhut: „Man isst quasi aus einem Topf.“
Zuhause in Diez trägt er keine Uniform. Auf eine Waffe verzichtete der Pfarrer im Auslandseinsatz, ließ sich allerdings zeigen, wie man im Notfall mit Fadenkreuz und Abzug umgeht. „Es gibt auch Pfarrer, die eine Waffe stets bei sich tragen und andere, die sie auch nicht zum Kennenlernen in die Hand nehmen.“
Und wie bewahrte sich der Seelsorger selbst vor Seelensorgen, zumal ihm die Schweigepflicht verbietet, das, was ihm anvertraut wurde, mit anderen zu teilen? „Man muss vor der Abreise einen Pfarrer seines Vertrauens angeben, den man anrufen kann.“ Das war ein Freund Stahlhuts. Den rief er auch an, allerdings um ihm mitzuteilen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauche. Mit zwei Soldaten und vor allem einem Arzt hat er im Lager Freunde und damit auch offene Ohren für die eigenen Empfindungen gefunden. Auch ein Supervisor, der nach drei Monaten den Standort aufsuchte, half, den inneren „Mülleimer“ zu leeren. Der größte Rückhalt saß in der Heimat: die Familie.
Die jüngste seiner drei Töchter erlitt in der Zeit eine Lungenentzündung. „Da muss man aufpassen, dass man am Telefon nicht zu viele schlaue Ratschläge geben will, fördert die eigene Abwesenheit die Heilung doch am allerwenigsten.“ Der einzigen „Familie“, der er während des Auslandsaufenthaltes wirklich helfen konnte, das waren seine Soldaten. (bcm)
Bildunterzeile:
Pfarrer Jürgen Peter Stahlhut mit seiner Uniform als Bundeswehr-Seelsorger, die ihn während seines Auslandseinsatzes kleidete und den Soldaten näher brachte. Foto: Matern
