Diakonie hilft: Wenn der Spielautomat zum wichtigsten Freund wird

thumb_1a-dw-mdbpilger180915BAD EMS/RHEIN-LAHN. (8. Januar 2015) Für große Geschenke unter dem Weihnachtsbaum hatten sie nicht genügend Geld: Menschen, die unter einer Spielsucht leiden, manövrieren sich und ihre Familien in finanzielle Notlagen. Was manchmal harmlos beginnt, endet auch im Rhein-Lahn-Kreis oft in tiefen psychischen Krisen.  

Ehescheidungen, Überschuldung, Gehaltspfändungen und tiefe Depressionen, die bis zum Suizidversuch führen können, sind auch in den Gemeinden des Rhein-Lahn-Kreises oft die Folge von Spielsucht. Das berichtete Werner Müß vom Diakonischen Werk Rhein-Lahn dem Bundestagsabgeordneten Detlev Pilger (SPD). Der besuchte die Zentrale des Diakonischen Werkes Rhein-Lahn in Bad Ems, um sich über die Problematik und die Wirkung der Gesetzeslage zu informieren, die nach dem deutschen Glücksspiel-Staatsvertrag Sache der Länder ist.

90 Prozent der Spielsüchtigen verspielten ihr Geld und ihre Zukunft an Automaten, so Müß. Grundsätzlich positiv wertete er die Änderungen des Landesglücksspielgesetzes im vergangenen Jahr mit den neuen eingeschränkten Öffnungszeiten für Spielhallen, die nun zwischen 2 und 8 Uhr geschlossen bleiben müssen. „Wer morgens um 6 Uhr schon vor dem Automaten steht, ist krank“, weiß Müß. Noch hilfreicher sei die Möglichkeit, sich selbst sperren zu lassen. Eine landesweit zentrale Sperrdatei soll den Spielsüchtigen vor dem Betreten von Spielhallen schützen, denn dessen Personal ist dazu verpflichtet, sich von jedem Gast einen Ausweis zeigen zu lassen, erklärte Müß dem Abgeordneten. „Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, von der Sucht loszukommen.“

Sorge bereitet dem Glücksspielsucht-Berater das boomende Angebot von illegalen Wettangeboten im Internet, wo die soziale Kontrolle wie etwa am Automat in einer Gaststätte völlig ausgeschaltet ist. „Die legalen Sportwetten bergen schon ein hohes Suchtpotenzial“, so Müß. Mittlerweile könne aber über ausländische Anbieter auf jedes Sportereignis in der Welt „live“ gewettet werden noch dazu in allen Varianten, ob aufs nächste Foul oder die nächste Rote Karte. „Das gibt vielen einen besonderen Kick.“

Ob in der Spielhalle oder im Internet – die engste Zusammenarbeit bei der Beratung seiner Klienten im Kreis pflegt Müß mit der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes. „Ich kenne Leute, die an einem Automaten 50.000 Euro verloren haben.“ Die Tasten würden das Gefühl vermitteln, die Kontrolle zu haben, „und am Schlimmsten sind die Gewinne“. Mit einer adäquaten ambulanten oder stationären Behandlung stünden die Chancen gut, von der Sucht loszukommen. Zwischen 20 und 30 Beratungsfälle verbucht Müß jedes Jahr, was allerdings nichts über die tatsächliche Zahl Spielsüchtiger im Kreis aussage.

Müß berichtete Pilger auch über im Kreis und mit den benachbarten Kommunen bestehende Netzwerke der Beratung und Hilfe. Wichtig sei die Präventionsarbeit etwa an Schulen, aber auch für Gemeinden und andere Interessenten. Der auch in der Kommunalpolitik beheimatete Bundestagsabgeordnete wusste um die Herausforderung der Beratungsarbeit. „Die Finanzierung fällt meist in den Bereich freiwilliger Leistungen, die sich ja kaum noch eine Kommune leisten darf“, so Pilger. Schon die Förderung in der normalen Suchtberatung sei verbesserungswürdig, um Betroffene nicht im Regen stehen zu lassen. Pilger: „Es gibt Aufgaben, die sollten einfach zum Pflichtprogramm gehören.“

Wo in der diakonischen Arbeit noch der Schuh drückt, das erläuterte die Leiterin des Diakonischen Werks Rhein-Lahn, Ulrike Bittner-Pommerenke dem Politiker. Dazu zählten nicht nur die immer wieder angemahnten Änderungen in der Hartz-IV-Gesetzgebung. Auch die Tafeln stießen an ihre Grenzen, wenn die Schere zwischen arm und reich weiterhin so auseinanderklaffe; von den Herausforderungen, die die Zahl von Flüchtlingen auch für die Tafelarbeit bedeute, ganz zu schweigen. Bittner-Pommerenke: „Unsere Kapazitäten sind erschöpft.“

Zuvor hatte die Leiterin Pilger die einzelnen Arbeitsbereiche des Diakonischen Werks Rhein-Lahn vorgestellt, unter dessen Dach im Rhein-Lahn-Kreis derzeit 18 Personen arbeiten. Das Angebot reicht von der Schwangerenkonfliktberatung über die Fachstelle für Suchthilfe, Jugendberatung, den Jugendmigrationsdienst, Schuldner- und Insolvenzberatung sowie einer Kontaktstelle für psychisch kranke Menschen bis hin zur allgemeinen Lebens- und Sozialberatung, in die auch die Beratung über Sozialhilfeleistungen fällt. „Vor zehn Jahren wurde mit Hartz IV das Sozialhilfegesetz geändert, das Ziel aber nicht erreicht“, so Bittner-Pommerenke. „Ein für unsere Verhältnisse menschenwürdiges Existenzminimum ist nicht erreichbar.“ Bernd-Christoph Matern

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Ulrike Bittner-Pommerenke, Leiterin des Diakonischen Werks Rhein-Lahn, und Glücksspielsucht-Berater Werner Müß informierten den Bundestagsabgeordneten Detlev Pilger (SPD) über die Hilfsangebote der Einrichtung, insbesondere die Beratung von Glückspielsucht (von rechts). Foto: Bernd-Christoph Matern 

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