Falsches Bild vom Christentum

Islamwissenschaftler Dr. Wolfram Reiss: Pädagogen aus dem Nahen Osten räumen einseitige Darstellung des Christentums ein

wolframreiss1RHEIN-LAHN/MAINZ (epd). Pädagogen und Historiker aus dem Nahen Osten haben nach Auskunft des Islamwissenschaftlers und evangelischen Theologen Wolfram Reiss (Rhein-Lahn-Kreis) die einseitige Darstellung des Christentums in den Schulbüchern ihrer Länder teilweise eingeräumt. Die Wissenschaftler aus der Türkei, Ägypten, Palästina, Syrien und dem Iran hätten aufgeschlossen bis ablehnend auf eine Schulbuchuntersuchung der Universitäten Rostock und Erlangen-Nürnberg reagiert, sagte Reiss am Mittwoch in Mainz auf epd-Anfrage.

 

Türkische und palästinensische Erziehungswissenschaftler haben Reiss zufolge Gespräche mit den deutschen Kollegen geführt, um die objektive Darstellung des Christentums in den Schulbüchern zu verbessern. In der Türkei sei bei einer Schulbuchrevision im Jahr 2000 der Vorwurf getilgt worden, die Christen hätten die Heilige Schrift verfälscht. Die Revision im vergangenen Jahr habe darauf geachtet, dass die christliche und die islamische Sichtweise des Christentums stärker getrennt würden. Die palästinensischen Schulbücher, die sich in der Erprobung befinden, können nach den Angaben von Reiss darin als Vorbild dienen, indem sie zu Toleranz zwischen Muslimen und Christen im Alltag erziehen wollen.

reiss-vortragSogar Gesprächspartner aus dem Iran hätten sich an dem Austausch über die verschiedenen Perspektiven interessiert gezeigt, obwohl das Christentum in iranischen Schulbüchern kaum vorkomme. Schwierig sei das Gespräch vor allem mit ägyptischen Erziehungswissenschaftlern. Vertreter des ägyptischen Bildungsministeriums haben nach den Worten von Reiss die Untersuchung als unzulässige Einmischung in nationale Angelegenheiten zurückgewiesen. Dort gebe es noch kein Verständnis dafür, dass die sachgerechte Darstellung einer Religion auch deren Selbstverständnis berücksichtigen müsse. In Syrien hingegen würden neuerdings Schulbuchkapitel über eine Religionsgemeinschaft von dieser selbst verfasst.

Das Forschungsprojekt untersuchte nach Angaben von Reiss von 1999 bis 2005 die Darstellung des Christentums in den Schulbüchern Ägyptens, Palästinas, der Türkei und Irans. In allen Ländern wird Reiss zufolge das Christentum nicht nach dem eigenen Selbstverständnis, sondern nach islamischem Verständnis erläutert. So werde Jesus als islamischer Prophet bezeichnet. Die islamische Kultur werde als höherwertig und tolerant, die christliche Kultur als minderwertig und aggressiv dargestellt. Das christliche Leben in der Gegenwart werde nicht thematisiert. (epd)

Literaturhinweis: Klaus Hock/Johannes Lähnemann/Wolfram Reiss (Hg.): Schulbuchforschung im Dialog. Das Christentum in Schulbüchern islamisch geprägter Länder, September 2006, 18 Euro.

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