Podiumsdiskussion mit prominenten Gästen wies auf ungerechte Verteilung von Vermögen hin
RHEIN-LAHN/NASSAU. Auch im Rhein-Lahn-Kreis geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. In einer Podiumsdiskussion in Nassau stellten sich Vertreter der Diakonie, der Bundes- und Kreispolitik sowie der Arbeitsagentur einer Diskussion über die Folgen und Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung. „Armes reiches Land“ war der Abend überschrieben, der für das Schicksal von finanzschwachen Menschen im Rhein-Lahn-Kreis sensibilisieren sollte. „Nix mitnomme“, sang Liedermacher Walter Huber zur Einstimmung auf das Thema des Abends „Blicke hinter Türen: Armes reiches Land“.
Dr. Franz Segbers, Referent für Ethik und Sozialpolitik des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau und Sprecher der rheinland-pfälzischen Wohlfahrtsverbände, Ulrike Pommerenke, Leiterin des Diakonischen Werkes Rhein-Lahn, Landrat Günter Kern, der Bundestagsabgeordnete und kirchenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ralf Hallbauer vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Koblenz sowie Peter Hahn, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft des Rhein-Lahn-Kreises, konnte Moderator Bernd-Christoph Matern vor mehr als 150 interessierten Besuchern begrüßen.
Zahlenmaterial als Indiz für die steigende Armut im Land und für die „schiefe Verteilung des Reichtums legte zu Beginn Dr. Franz Segbers vor. Nicht nur die 345 Euro zuzüglich Miete und Heizung, mit denen die Bezieher von Arbeitslosengeld II (nach der so genannten Hartz-IV-Reform) auskommen müssen, nannte Segbers einen Skandal – auch die ständig steigende Zahl von „Tafeln“, die Sozialhilfeempfängern Lebensmittel anbieten, zeige die wachsende Armut. Die Zahl stieg bundesweit von 320 im Jahr 2003 auf 540 im vergangenen Jahr; im Rhein-Lahn-Kreis wurde eine Tafel in Diez eröffnet, eine zweite folgt im Frühjahr in Nastätten. Segbers forderte angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland noch nie so viel Reichtum gegeben habe, mehr Steuergerechtigkeit von der Politik. Den reichsten zehn Prozent aller Haushalte gehört fast die Hälfte des privaten Gesamtvermögens. Statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, könnten diese 85 Milliarden Euro sinnvoller in die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze gesteckt werden.
Für den Bundestagsabgeordneten Josef Winkler, seinerzeit noch mitverantwortlich für die Einführung der Gesetzgebung, gibt es in manchen Bereichen des Gesetzes durchaus Verbesserungsbedarf. „Aber ich würde ihm auch heute noch zustimmen. Die Ungerechtigkeiten des Gesetzes beruhen auf den Zugeständnissen, die gegenüber der Union gemacht werden mussten.“ Winkler sieht die Schaffung eines dritten Sektors im Arbeitsmarkt angezeigt, in dem Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert wird, wodurch auch das Selbstwertgefühl der Betroffenen gestärkt werde.
Dass auch arbeitende Menschen im Rhein-Lahn-Kreis zunehmend unter Armut leiden, dafür nannte Ulrike Pommerenke ein Beispiel. Ihr sei ein Fall bekannt, in dem eine Frau bei einer Zeitarbeitsfirma bis zu 50 Stunden in der Woche für ganze 649 Euro im Monat arbeite. Ein Lohn, der mit dem Arbeitslosengeld II aufgestockt werden müsse. Pommerenke wehrte sich außerdem gegen das über dicke Schlagzeilen in Massenmedien vermittelte Bild des faulen Arbeitslosen. „Armut“, so Pommerenke, drücke sich nicht nur darin aus, weniger zu verdienen als die Hälfte des Durchschnittseinkommens, sondern auch im Gefühl, zu einer Gesellschaft nicht dazu zu gehören.
Hartz IV habe dazu geführt, dass Ein-Euro-Jobber ohne wirkliche Aussicht auf eine Festanstellung gerade für Kommunen Arbeiten übernehmen würden, die dem ersten Arbeitsmarkt verloren gingen, kritisierte Ralf Hallbauer vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Koblenz. Die erhoffte Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt sei utopisch, sinnvoller sei da die Einführung eines Mindestlohns. Solcherlei Handhabung schloss Landrat Günter Kern für den Rhein-Lahn-Kreis aus. Kern bemängelte, dass es auch der öffentlichen Hand an Geld fehle, neue Arbeitsplätze einzurichten. Kern verwies aber auch auf die Erfolge, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur in Form der Arbeitsgemeinschaft Rhein-Lahn bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen nach Hartz IV erreicht worden seien. Peter Hahn, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft, kritisierte zwar die kurze Vorbereitungszeit zur Umsetzung des Gesetzes, wartete aber mit positiven Zahlen auf. So sei die Zahl von Hartz-IV-Empfängern im Kreis zwischen Februar 2005 und jetzt von 3680 auf 2346 gesenkt worden. Mehr als 500 junge Arbeitslose seien in diesem Zeitraum, zum größten Teil in den ersten Arbeitsmarkt, vermittelt worden.
Matthias Metzmacher, Referent für gesellschaftliche Verantwortung der evangelischen Kirche im Rhein-Lahn-Kreis, betätigte sich beim Sammeln von Fragen der Zuhörer nicht nur als „Anwalt des Publikums“. Auch Kirche verstehe sich als Anwalt derjenigen, „die in unserem Land keine Lobby haben“ wie die Bezieher von Hartz IV oder einkommensschwache Familien. Metzmacher: „Auch wenn es keine Patentlösung geben mag, hat Kirche doch die Pflicht, auf eine unsoziale und ungerechte Verteilung des Vermögens hinzuweisen.“ Dem sollte auch die Podiumsdiskussion dienen, wie der Vorsitzende der Diakoniekonferenz, Eckhard Bahlmann, zur Begrüßung gesagt hatte. (bcm)
